Text: Felix Krakow | Fotos: Dan Zoubek | 24.12.2021

Tief im Süden Spaniens gibt es viel Meer, viel Sonne, viele Gewächshäuser - und ziemlich viele unbefestigte Wege, die nur darauf warten vom Gravel Collective erobert zu werden. Oder besser gesagt: darauf gewartet haben. Denn wir haben den Schotter Murcias unter die Reifen genommen. Mit viel Zeit, tollen Touren und vor allem: ohne Stress.

In flottem Tempo jagen wir über den asphaltierten Radweg neben der Straße. Kurs: auf direktem Weg nach Hause. Da tut sich halbrechts vor uns ein schmaler Schotterpfad auf, der bald eine hübsche Linkskurve beschreibt, dann recht steil über einen kleinen Hügel führt und schließlich wieder auf den Radweg mündet. Ganz offensichtlich ein vollkommen sinnfreier Umweg auf der schnellsten Route von A nach B. Peter und Christopher tauschen einen kurzen Blick aus und schon biegen sie rechts ab – und natürlich folgt ihnen doch wieder die komplette Gruppe. Eine gute Minute später sind wir wieder auf der Straße. Der Puls geht etwas schneller, die Mundwinkel noch etwas weiter nach oben. „Genau das ist es doch“, sagt Peter, „sinnfreie Umwege unter die Reifen nehmen und dabei einfach Spaß haben.“

Die Bikes zur Geschichte

Wobei dieser Spaß natürlich in Wirklichkeit harte Arbeit ist. Schließlich wollen hier heiße Gravelbikes getestet werden. Und wo und wie ließe sich das wohl besser machen als draußen unter freiem Himmel? Denn anstatt die insgesamt zwölf für dieses Heft zu testenden Rädern in irgendwelchen dunklen Kellern einzusperren und auf unbarmherzigen Prüfständen zu foltern, wollen wir sie den nicht unbedingt weniger harten Prüfungen des echten Lebens unterziehen. In einem der schönsten Testlabore überhaupt: den Straßen, Schotterwegen und durchaus auch mal etwas heftigeren Trails im Süden Spaniens.

Kurzum: Wir wollen wissen, wie die Bikes in genau der Umgebung funktionieren, für die sie gebaut wurden.

Dazu sind ein gutes Dutzend Testfahrer ein gutes Dutzend Tage mit genau einem Dutzend Gravel-Maschinen unterwegs. Und bevor jemand meckert: Ja, wir haben auch Frauen gefragt, ob sie mit ins Testcamp kommen wollen. Aber die konnten, wollten oder durften alle nicht.

Der Modus: sich einen Tag lang auf einer abwechslungsreichen Tour mit einem der Bikes austoben, Testprotokoll ausfüllen und am nächsten Tag auf das nächste Fahrrad schwingen. So können die Räder im Test direkt miteinander verglichen werden – was bei unserem sehr heterogenen Testfeld nicht nur besonders spannend ist, sondern auch besonders viel Spaß macht. Denn von Modellen, die im Kern ein Langstrecken-Rennrad mit breiteren Reifen sind über aufgemotzte Cyclocross-Maschinen bis hin zu mit Federgabel versehenen Beinahe-Mountainbikes ist das komplette Spektrum an Gravelbikes vertreten.

„Was steht denn morgen auf dem Programm?“, fragt Tobi nach einem dieser Testtage. Seine Hoffnung: mit einer Einschätzung der Strecke für den kommenden Tag schon mal sein „Handtuch“ auf das am besten zu den Anforderungen passenden Fahrzeug werfen zu können. Allerdings erhält er nur die gleichzeitig unbefriedigende und unheimlich entspannende Antwort: „Das Gleiche wie jeden Tag: ausschlafen, gemütlich frühstücken und dann in Ruhe gemeinsam überlegen, in welche Himmelsrichtung es denn heute gehen soll.“

In diesem Modus funktioniert das Leben wie in einer Art großen Gravel-Collective-WG. Frühstücken, umziehen, Pedale umschrauben, Reifendruck checken und ab geht die Fahrt auf die nächste Testrunde.

„Döp-döp-döp-dö-dö-döp-döp-döp“

Heute stehen zum Beispiel erstmal entspannte 30 Kilometer Straße auf dem Programm. Also nicht irgendeine Straße, sondern die schöne, aber kaum befahrene Küstenstraße entlang, dann die Serpentinen rauf, auf der anderen Seite wieder runter, kurzer Gravel-Abstecher durch das ausgetrocknete Flussbett und dann den nächsten, sanften Anstieg hoch. Die Straße durch die Felder wird immer schmaler und dann ist er da, der magische Moment. Der Moment, wenn sich Straße und Schotter treffen, wenn die ersten kleinen Steinchen unter den Reifen knirschen und der Spaß so richtig beginnt.

Robert schmettert die ersten Beats des Scooter-Songs „Maria“ in die spanische Luft („Döp-döp-döp-dö-dö-döp-döp-döp“), der Rest der Gravel-Gang liefert die passende Replik („Dö-döp-döp-döp-dö-dö-döp-döp-döp“) und ab dafür. Links und rechts von uns der Pinienwald, die blühenden Wiesen, und mittendrin ein paar Jungs in bester Gravel-Laune.

Wäre das Leben doch immer so unkompliziert: Fahrradfahren, die Landschaft genießen und Fachsimpeln über die Bikes und ihre Besonderheiten. Ganz hoch im Kurs steht dabei das Backroad von Rose. Oder das schon kultverdächtige Open Up in der speziellen Maloja-Edition, entstanden aus einer Zusammenarbeit mit der Bekleidungsmarke aus dem Oberbayerischen. Ordentlich Eindruck machen auch das sündhaft teure und nicht weniger schnelle Pivot Vault oder das BMC Urs mit seinem Elastomer-Dämpfer.

Gleich eine komplette Federgabel hat Bombtrack dem an ein Mountainbike mit Rennradlenker erinnernden Hook ADV spendiert. Looks 765 Gravel RS führt mit seinen vielen Bohrungen zu der Frage, wie viele Trinkflaschen sich da eigentlich alleine am Rahmen befestigen lassen würden? Die Antwort: fünf. Drei im Rahmendreieck, eine auf dem Oberrohr und eine unter dem Unterrohr. Auch die Reifen sind ein Dauerthema. Tubeless oder nicht? Welcher Druck? Wie breit darf es denn sein und wieviel Profil sollten sie haben? Beim Look führt der defektbedingte Tausch der Pneus gar zu einer Offenbarung. Der Wechsel von den ab Werk installierten Pirelli Cinturato Gravel H in 35 mm zu Vredesteins Aventura in 38 mm bringt spürbar mehr Grip im Gelände. Oder um es mit Tobi zu sagen: „Das ist ein komplett anderes Rad!“

Und dann wäre da natürlich noch das Canyon Grail mit seinem vielbesungenen Doppeldecker-Lenker, dem Hover Bar. „Wie bekomme ich denn da jetzt meine Lenkertasche ran“, fragt Peter, bevor es anderntags auf die Königsetappe geht. Die Antwort: „Gar nicht!“

RUND UM DIE WEISSE STADT

Also schnell umpacken in die Trikottaschen und Start frei zum Abstecher nach Andalusien, auf die Tour rund um die weiße Stadt Mojácar. Vom Strand aus kurbeln wir hinauf in die wie in den Berghang gehauene Stadt mit ihren weiß getünchten Mauern. Noch ein kleines Frühstück auf dem Plätzchen vor der Kirche und dann nix wie an die Arbeit. Es geht durch die Sierra Cabrera. Nach der ersten hübschen Gravel-Sektion nebst rasanter Abfahrt steht eine lange, steile Asphalt-Auffahrt an. Trotz kurzer Klamotten fließt der Schweiß am heißen Februartag in Strömen. „Sag mal, ist das Schnee da hinten?“, fragt Cory. Tatsächlich reicht der Blick an dem glasklaren Tag bis zu den Gipfeln der Sierra Nevada, des „verschneiten Gebirges“, am Horizont. „Die trägt ihren Namen offensichtlich nicht ohne Grund“, erkennt Robert. Dann geht es noch einmal um die Kurve und direkt hinein ins Gravel-Paradies.

GROSSES GRAVEL GLÜCK

Vor uns liegt einfach nur grüne Bergwelt, irgendwo im Hintergrund das Mittelmeer und dazwischen ein paar sich nach unten windende Schotterwege. „Welchen nehmen wir denn da bloß?“, fragt Tobi, aber wir ahnen, dass es eigentlich kaum eine Rolle spielt. Alle bringen uns früher oder später an die Küste. Und alle versprechen gigantisches Gravel-Vergnügen.

Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichen wir unser temporäres Heimatdörfchen. Der Kellner an der Strandbar weiß längst Bescheid, als wir die Gravelbikes im glühend roten Abendllicht parken. „Zwei Karaffen Cerveza. Kommt sofort.“ Ach, wenn das Leben doch immer nur so unkompliziert sein könnte.

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